In den vergangenen Wochen mehrten sich die Spekulationen über den Zeitpunkt, zu dem ICANN mit der Delegierung der ersten neuen gTLDs beginnen würde. Während ICANNs Präsident und CEO Fadi Chehadé noch Ende Januar 2013 in Amsterdam durch eine missverständliche Äußerung über eine Verzögerung der Delegierungsphase für Aufsehen sorgte, äußerte er sich in einem am 14. Februar veröffentlichen
Video-Interview deutlich klarer.
Demnach sollen die ersten neuen gTLDs bereits ab dem 23. April 2013 zur Delegierung empfohlen werden. Es ist stark anzunehmen, dass ein Zusammenhang besteht zwischen der Verunsicherung und der sich daraus ergebenen Unzufriedenheit der Industrievertreter nach Chehadés Äußerungen in Amsterdam und dem nun, wenigen Wochen später verkündeten konkreten Termin, mit dem ICANN die Antragsteller zu beruhigen versucht. Welche Domains im April grünes Licht erhalten, steht zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest und es ist wenig wahrscheinlich, dass eine entsprechende Bekanntgabe vor dem Delegierungstermin erfolgen wird. Betrachtet man ICANNs Prioritization List, so lässt sich jedoch erahnen, dass es zu einem großen Teil IDNs aus dem asiatischen Raum sein werden.
Sollten tatsächlich im April die ersten neuen TLDs von ICANN freigegeben werden, so bedeutet dies jedoch nicht, dass sie zu jenem Zeitpunkt bereits registriert werden können. Ein entscheidendes Kriterium neben der Freigabe durch ICANN ist letztendlich auch die Frage, ob die entsprechenden Registrys mit ihrer Strategieentwicklung so weit fortgeschritten sind, dass sie ihre neuen TLDs anbieten bzw. selber nutzen können. In diesem Zusammenhang spielt die Akzeptanz der neuen TLDs durch die Nutzer eine entscheidende Rolle.
Ein interessantes Beispiel für eine diesbezügliche Marketingstrategie lässt sich derzeit in Brasilien beobachten. Die brasilianischen Bank Itaú, die sich für die gleichnamige TLD beworben hat (.itau), bietet ihren Kunden derzeit ein neues Design ihrer Bankautomaten. Dort, wo gewöhnlich die portugiesischen Hinweise für Bargeldabhebung (port.: saque), Einzahlung (port.: depósito) oder Überweisung (port.: transferência) angebracht sind, befinden sich diese nun in Form einer TLD: .saque, .depósito und .transferência. Die Mehrheit der Kunden der Bank kann dieses neue Design bisher nicht einordnen. Zu wenig Kenntnis besteht in der Öffentlichkeit über das Vorhaben zur Einführung neuer TLDs (und dies zweifelsohne in zahlreichen Ländern). Das wird sich jedoch ändern, sobald die Itaú, Lateinamerikas größtes Finanzinstitut, den nächsten Schritt ihrer Marketingstrategie einleiten und auf ihre zukünftige TLD hinweisen wird. Die schrittweise Heranführung der Kunden an die neue TLD der Bank über die (fiktiven) Begriffe wie .saque oder .depósito kann man durchaus als geschickt bezeichnen. Durch das regelmäßige Vorführen des .
irgendetwas wird es den Kunden in einigen Wochen (oder Monaten) nicht mehr schwer fallen, sich an die geplante Einführung von .itau zu gewöhnen (es sei erneut angemerkt, dass bisher kein Hinweis an die Kunden gegeben wurde, auf was sich das neue Design der Bankautomaten bezieht; kaum jemand wird zu diesem Zeitpunkt eine Verbindung herstellen zwischen .saque und einer Internetdomain).
Und noch einen Vorteil hat die Kampagne, der unter Umständen gar nicht eingeplant war: durch die Darstellung diverser Begriffe in Form von TLDs wird dem Kunden nahe gelegt, dass es in Zukunft nicht nur eine, sondern eine Vielzahl neuer TLDs geben wird. In den kommenden Monaten wird sich zeigen, welche weiteren Antragsteller durch eigene Strategien ihre neuen TLDs erfolgreich präsentieren und sich dadurch einen stabilen Marktanteil sichern werden.